Zeitmessung der Zukunft: Ein neuer Ansatz könnte künftige Atomkernuhren einfacher, sparsamer und ungefährlicher machen. Denn wie ein Experiment belegt, eignet sich auch ein Dünnfilm aus Thoriumfluorid als Material für diese hochgenaue Zeitmessung. Der Vorteil: Anders als Thoriumkristalle ist ein solcher Dünnfilm leicht mittels Vakuumverdampfung herzustellen, benötigt weniger Thorium-229 und ist daher weniger radioaktiv. Das könnte Atomkernuhren praktikabler und mobiler machen, berichten Physiker in „Nature“.
Bisher sind optische Atomuhren auf Basis von Strontium- oder Ytterbium-Atomen die genauesten Werkzeuge für unsere Zeitmessung. In ihnen geben Quantensprünge von Elektronen in den Atomhüllen den Takt vor. Doch es ginge noch besser – mit einer Atomkernuhr. Denn auch die Protonen und Neutronen im Atomkern können verschiedene Energiezustände einnehmen. Deren Übergänge sind robuster und „ticken“ schneller als bei gängigen Atomuhren, entsprechend genauer wäre die Uhr.
Als vielversprechender Kandidat für eine solche Atomkernuhr gilt das Isotop Thorium-229. Bereits 2019 identifizierten Physiker einen passenden Anregungszustand im Atomkern dieses Isotops, 2023 gelang es, den Übergang in diesen Zustand erstmals zu messen.
Rar und hochradioaktiv
Der Haken jedoch: Thorium ist radioaktiv und kommt in der Natur nicht vor. Das Isotop muss daher erst aufwendig in speziellen Beschleunigeranlagen hergestellt werden – entsprechend gering sind die weltweiten Vorräte: „Weltweit sind rund 40 Gramm Thorium-229 mit vertretbarer Isotopenreinheit vorrätig, aber davon ist das meiste mit anderen chemischen Elementen wie Uran vermischt und daher nicht nutzbar“, erklären Chuankun Zhang vom Joint Institute for Laboratory Astrophysics (JILA) der University of Colorado und seine Kollegen.
Als Folge sind für die Forschung an Atomkernuhren nur wenige Milligramm Thorium verfügbar und geeignet. Um die für die Atomkernuhren nötigen Kristalle herzustellen, sind daher spezielle Techniken nötig. Erschwerend kommt hinzu, dass die fertigen Kristalle mit im Schnitt mehr als 10.000 Becquerel stark radioaktiv sind. Ohne Strahlenschutzmaßnahmen ist eine Nutzung dieser Kristalle daher unmöglich – was ihre Integration in Uhren erschwert.
Aufgedampfte Schicht statt massivem Kristall
Eine Lösung für diese Probleme könnten nun Zhang und sein Team gefunden haben. Denn sie haben eine Methode gefunden, um das Thorium-basierte „Herz“ der Atomkernuhr sparsamer, einfacher herstellbar und sehr viel ungefährlicher zu machen. Möglich wird dies, weil das Team statt eines massiven Thoriumkristalls einen nur 30 bis 10 Nanometer dicken Dünnfilm aus Thorium-Tetrafluorid (ThF4) erzeugt und für die Messungen verwendet.
Der große Vorteil: Ein solcher Dünnfilm aus Thoriumfluorid kann mithilfe der gängigen Vakuum-Dampfabscheidung produziert werden und benötigt kein reines Thorium als Ausgangsstoff, wie das Team erklärt. Im Experiment nutzten sie pulverförmiges Thoriumnitrat (Th(NO3)4), lösten es in Wasser und gaben Flusssäure (HF) dazu. Das dabei ausfallende Thoriumfluorid verdampften Zhang und sein Team anschließend durch Erhitzen im Vakuum und ließen es auf einer Unterlage kondensieren.
Weniger radioaktiv und sparsamer
Das Ergebnis ist ein rund 30 bis 100 Nanometer dünnes und rund 50 Mikrometer großes Scheibchen aus Thoriumfluorid. „Bei 30 Nanometer Dicke entspricht dieses Volumen rund 700 Milliarden Atomen von Thorium-229 – und einer Radioaktivität von nur zwei Becquerel“, berichten Zhang und seine Kollegen. Damit ist dieser Thorium-Dünnfilm nur rund ein Tausendstel so radioaktiv wie die bisher gängigen Thoriumkristalle. Außerdem benötigt dieser Dünnfilm nur wenige Mikrogramm des kostbaren Thorium-Isotops.
Die entscheidende Frage ist jedoch: Eignet sich ein solcher Thoriumfluorid-Dünnfilm auch für eine Atomkernuhr? Um das zu ermitteln, testeten die Physiker, ob und wie gut sich der nukleare Zustandswechsel bei diesem Material messen lässt. Dafür bestrahlten sie den thoriumhaltigen Dünnfilm in einer Vakuumkammer mit einem UV-Laser von rund 249 Nanometer Wellenlänge. Bei diesem Wert nimmt der Thorium-Atomkern früheren Tests zufolge genau die Energie auf, die er für den Übergang in den nächsthöheren Quantenzustand benötigt.
Uhren-Übergang trotzdem messbar
Und tatsächlich: Im Experiment ließ sich auch beim Thorium-Tetrafluorid der für die Atomkernuhr nötige Zustandswechsel messen. „Wir haben den Uhren-Übergang des Thorium-229 im Dünnfilm mittels Kernspektroskopie aufgezeichnet“, berichten Zhang und sein Team. Demnach findet dieser Übergang je nach Substrat bei 2020406 Gigahertz beziehungsweise 2020409 Gigahertz statt. Die Breite des Signals war allerdings noch etwas höher als bei Messungen mit Thoriumkristallen.
Dennoch sehen die Physiker in ihrem Ansatz einen wichtigen Fortschritt. „Diese Ergebnisse zeigen eindeutig, dass der isomere Übergang des Thorium-229 auch in Thorium-Tetrafluorid-Dünnfilmen ausgelöst und gemessen werden kann“, konstatieren sie. „Das eröffnet viele neue Möglichkeiten, weil die Herstellung von Thoriumfluorid-Filmen bereits weit entwickelt ist. Es wird beispielsweise schon für optische Beschichtungen eingesetzt.“ Damit wären Atomuhren auf Basis solcher Dünnfilme günstiger und einfacher zu betreiben als mit Thoriumkristallen.
Genauer als gängige Atomuhren
Auch in puncto Präzision solcher Thorium-Uhren sind Zhang und sein Team zuversichtlich. Auf Basis von ergänzenden Modellsimulationen schätzen sie, dass die Präzision einer Atomkernuhr auf Basis eines Thoriumfluorid-Films schon bei rund 50 Trillionstel pro Sekunde läge. Das ist bereits deutlich genauer als eine gängige Atomuhr auf Cäsiumbasis und bewegt sich im Bereich optischer Atomuhren. Zudem gehen sie davon aus, dass sich die Struktur des Thorium-Tetrafluorids im Dünnfilm und auch die Messtechnik noch optimieren lassen.
Nach Ansicht des Teams eröffnet ihr Ansatz zudem die Chance, Atomkernuhren kleiner und mobiler zu machen. „Ein Schlüsselvorteil solcher Atomkernuhren ist ihre Portabilität“, erklärt Zhangs Kollege Yun Ye. „Um dieses Potenzial zu nutzen, müssen wir diese Systeme kompakter, weniger teuer und weniger radioaktiv machen.“ Genau dies könnte dank der Thorium-Tetrafluorid-Dünnfilme möglich werden. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-08256-5)
Quelle: Nature, Joint Institute for Laboratory Astrophysics (JILA)